Jordan hatte erstaunt feststellen müssen, dass das Schild nicht gelogen hatte und man wirklich in nur 5 Minuten vom Parkplatz aus brauchte, um den See zu erreichen. Zwar war der Weg ans Ufer ziemlich steil und mit Treppen versehen, die ganz schön ins Knie und in die Waden gingen, aber ihr als Gewohnheitsjoggerin machte der kleine Marsch nach unten nicht wirklich viel aus. Und unten angekommen musste sie zugeben, dass sich der Weg gelohnt hatte. Sie war zum einen mutterseelen alleine, stand auf einem schmalen Pfad, der dem gestrigen nicht unähnlich war (wobei sie versuchte nicht zu genau an die Nacht am See zu denken, weil es in Anbetracht des Streites oder drohnenden Streites nur wehtat) und hatte einen herrlichen Blick auf den See. Ein Schilffgürtel erstreckte sich vor ihr nach allen Seiten, dünnte etwa nach einem Meter bereits wieder aus und man sah vereinzelt ein paar Enten vorbeiziehen. Der Strand mit seinem bunten Treiben lag ihr genau gegenüber und man konnte bunte, sich bwegende Punkte ausmachen, ein paar Boote auf dem Wasser, aber ansonsten war sie wirklich auf ihrer Seite mit der Natur alleine. Jordan ging ein paar Meter nach rechts in den Wald hinein, immer direkt am seeufer entlang und genoß die Stille, die zwar hin und wieder noch von der nahen Straße und einem vorbei rauschenden Auto unterbrochen wurde, aber um so weiter sich Jordan vorwagte, um so stiller wurde es. Aber die Einsamkeit half ihr nicht wirklich sich auf ihre Probleme zu konzentrieren. Schon gar nicht konnte sie darüber nachdenken ,wie sie sich weiterhin verhalten sollte, noch was sie Woody später sagen sollte. Im Grunde wusste sie es schon, nur war sie sich auch sicher, dass es Woody nicht gefallen würde. Und auch Annie würde es nicht nach dem Wochenende gefallen, sie auf der Minusseite ihres Freundskonto zu haben... also musste sie auf jeden Fall eine andere Stratgie entwickeln, mit der alle Seiten glücklich waren und wurden. Ohne vom eigenen Standpunkt all zu viel abweichen zu müssen. Was nicht unbedingt einfach war.
Seufzend hatte sich Jordan wieder auf den Rückweg gemacht, als ihr bewußt wurde, wie weit sie sich am Ende doch vom Parkplatz entfernt hatte. Es wurde hier draußen sicher recht früh dunkel, jedenfalls war es gestern Abend schon dunkel gewesen, als sie angekommen waren und auf eine Nachtwanderung hatte sie auf keinen Fall Lust. Trotzdem gönnte sie sich auf den Rückweg einen kleinen Abstecher ans Ufer, das an einer Stelle ein wenig ins Wasser hinein eine kleine Landzunge hatte. Nicht sehr breit, aber man konnte erkennen, dass unzählige Touristen vor ihr schon denselben Weg genommen hatten, um dem Wasser näher zu sein. Und neugierig wie Jordan nun einmal war, wollte sie sich selbst davon überzeugen, was sie vielleicht verpassen könnte. Möglicherweise gab es ja Nistplätze, oder Fische....
Als Jordan ein wenig das Schilf zur Seite gedrückt hatte, um auf der kleinen Landzunge angekommen die Umgebung besser sehen zu können, weckte ein schillernder Gegenstand im Wasser ihre Aufmerksamkeit. Sie bückte sich ganz automatisch danach und fischte ein silbernes Feuerzeug aus dem Wasser. Es sah neu aus, sehr neu und Jordan fragte sich wer es hier verloren haben mochte. Ihr war niemand begegnet und so wie das Feuerzeug aussah, lag es höchstens ein paar Stunden im Wasser. Es besaß keine Initialien, trotzdem steckte sie es ein. Man konnte ja nie wissen, ob man nicht doch demjenigen über dem Weg lief, der es verloren hatte. Sie machte wieder einen Ansatz, das Schilf zur Seite zu drücken und stutzte erneut. Nicht unweit von der Stelle, an der sie eben das Feuerzeug herausgeholt hatte, lag ein Schuh. Und an dem ganzen Schuh daran, war ein Hosenbein und... Jordan stolperte überrascht ein paar Schritte nach hinten und zog schockiert über ihren Fund die Luft scharf ein, nur um sich gleich schnell umzusehen. Sie war alleine. Kein Zweifel. Kein Mörder, der aus dem Schilff ausbrach und sie angriff. Nur sie, ein paar Enten, der Wind und der Tote zwischen dem Schilff. Und ausgerechnet sie hatte darüber stolpern müssen. Wunderte sie das? Nicht wirklich...
Das sie ihr Handy nicht dabei hatte, bedauerte sie einmal mehr. Aber oben am Parkplatz hatte es einen Münzapparat geben, bei dem man zum Glück die Notrufnummer auch ohne Kleingeld wählen konnte. Leider würde sie den ganzen Weg zurücklaufen müssen, nur um dann auf die Polizei warten zu dürfen.. aber im Grunde war sie über diese kleine, unerwartete Abwechslung gar nicht einmal böse. Das hielt sie schön davon ab zurückzufahren und sie hatte Woody auch eine wirklich gute Ausrede für ihr langes Fernbleiben zu bieten....
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INzwischen war Jordan nicht mehr alleine. Um sie herum herrschte geschäftiges Treiben eines Tatortes.
Sie hatte zur Abwechslung einmal Glück gehabt und der Münzapparat war nicht defekt gewesen. Sie hatte ihren Notruf gemacht, dann auf die Polizei gewartet und sie an die Stelle geführt.
Die mehrmalige Aufforderung des Sheriffs gehen zu können, hatte sie bereits erfolgreich ignoriert, wie auch die Ermahnung sich nicht mehr dem Tatort zu nähern. Sie hatte ja leider nicht einmal ihren Ausweis dabei, um den störrischen Mann davon überzeugen zu können, dass sie tatsächlich Gerichtsmedizinerin war. Und so lange niemand von den "Kollegen" hier war, dem sie beweisen konnte, dass etwas in ihr steckte, um die Leiche wenigstens ein einziges Mal sehen zu können, musste sie geduldig warten. Man hatte das Schilf um die LEiche herum abgeschnitten, und das Wasser wurde durchsucht. Die Leiche rührte niemand an. Man wollte auf den Coroner warten. Was JOrdan durchaus verstand. Aber ihre Neugier war einfach größer und somit ihre Ungeduld auch....
"Ms Cavanaugh!" Sheriff Reynolds warf der jungen Frau einen erbosten Blick zu, als sie für seinen Geschmack schon wieder viel zu nahe kam. Sie schenkte ihm daraufhin ein Lächeln, machte zwei, drei Schritte rückwärts und ärgerte sich dann, dass er sie bemerkt hatte. Darum ging sie ein wenig zur Seite, blieb aber trotzdem dem Ufer nah. Vielleicht fand sie hier an dieser Stelle noch etwas, was die geschätzten Kollegen übersehen hatten....
Natürlich trieb die Neugier Jordan wieder etwas näher an die Fundstelle heran, die inzwischen vom Schilf völlig befreit war und die örtliche "Spurensicherung", die offenbar ein Einmann-Betrieb war, war damit beschäftigt im Wasser zu fischen. Aber es fand sich nichts weiter. Aber das interessierte Jordan nicht besonder. Sie war nur neugierig auf den Toten, der leider mit dem Gesicht nach unten im Wasser lag und sie sich also doch gedulden musste, bis der Coroner eintraf.
JOrdan hatte sich schon die Beine in den Bauch gestanden, vor lauter Warterei, als ihr eine Bewegung auf dem Wasser auffiel und sie ein wenig ablenkte. Ein Tretboot hatte sich der Landzunge genähert und hielt mehr oder weniger Kurs auf sie zu. Und in dem Boot saßen David und Annie. Na das war jetzt eine Überraschung. Offenbar hatten sie sie auch entdeckt, weil sie beide in ihre Richtung blickten. Sie hob automatisch eine Hand, um ihnen zu zuwinken, ehe ihr der Streit wieder in seiner vollen Tragweite ins Bewußtsein kam und sie die Hand auf halbem Weg wieder sinken ließ.
Jordan hatte gewartet bis David und Annie auf ihre HÖrweite herangetreten waren und hatte dann kurz Davids Winken erwidert. Ein wenig steif und nicht ganz so freiwillig. Aber was sollte sie tun? Die beiden wollten sicher wissen was hier los war und das Recht dazu hatten sie. Streit hin oder her. Sie würde auf jeden Fall versuchen das Beste daraus zu machen. Als David etwas weiter von ihr rechts zum Stillstand kam, ging sie die paar Schritte zurück, obwohl in dem MOment der lang ersehnte Coroner eintraf.
"Hey...," sagte Jordan ein wenig heiser und wusste dann nicht so recht was sonst noch sagen. Es war irgendwie eine recht seltsame Situation mit ihr hier auf der Landzunge und den beiden in dem ulkigen, weißen Tretboot...
Jordan hielt nicht ein einziges Mal an, als sie den Wanderweg zurück Richtung Parkplatz stürmte. Die angeblichen fünf Minuten, die ihr vorhin noch so verlockend kurz erschienen waren, zogen sich schrecklich in ihrer EInbildung. Und als sie die schmalen Stufen nach oben zur Straße ging, kochte sie innerlich fast über vor Enttäuschung, Wut und Hilflosigkeit. Und wäre sie eine Comic-Figur gewesen hätte man inzwischen Rauch aus ihren Ohren aufsteigen sehen können.
Aber was konnte sie ändern? Sie hatte Woody die Entscheidungsfreiheit gegeben, verunsichert, sich ihrer Fehler bewußt, und er hatte gekniffen und ihre Frage mit einer GEgenfrage beantwortet. Und was hatte er sich davon versprochen?
Und dann diese Ignoranz dieser drei gegen eine Leiche im See. Hier, mitten in der Wildnis. Wo sie einen Toten wahrscheinlich alle 4 Jahre mal sahn. Aber bitte... wenn sie nicht helfen wollten, wenn es sie nicht interessierte, würde sie das eben mal wieder alleine in die Hand nehmen müssen.