Und wenn er nicht Renee bedroht, dann zumindest Abby, dachte Annie und fühlte sich immer schlechter, mit jeder Sekunde die verging, ohne dass sie etwas unternahmen. Hätten sie Jordan doch das Handy gegeben und Renee anrufen lassen. Dann müssten sie jetzt hier nicht sitzen und Theorien diskutieren. Dann hätten sie Gewissheit. Zumindest in gewissem Maßen. "Sollen wir Renee anrufen?", fragte sie vorsichtig, weil sie nicht wusste, ob David immer noch der Meinung war, warten zu müssen bis diese sich meldete. Am liebsten hätte Annie ja gleich angerufen und damit den Fehler, den sie mit ihrem Schweigen vorhin bei Woody und Jordan gemacht hatten, nicht gleich wiederholten. Aber sie sah sich nicht im Recht, diese Entscheidung zu fällen. Renee war Davids Schwester und die beiden hatten vorhin ausgemacht, wieder miteinander zu sprechen. Nicht sie und Renee.
"Ich dachte du warst dafür, dass wir ihr den Tag nicht noch mehr verderben? Und ich bleib auch dabei, was ich gesagt habe - wir wissen nicht wo sie steckt und was sie gerade macht. Nachher stören wir sie bei etwas wichtigem, wegen einer blöden Frage mit der sie gar nichts anfangen kann."
"Ja, sicher bin ich dafür, ihr den Tag nicht noch mehr zu verderben", sagte Annie. "Aber ... ich habe eben schon den Fehler gemacht und versucht, vor Jordan und Woody etwas wichtiges zu verheimlichen. Das soll mir kein zweites Mal passieren. Und wenn wir jetzt wieder Informationen - die vielleicht wichtig sind, vielleicht aber auch nicht - zurückhalten, dann ... dann machen wir doch wieder denselben Fehler wie vorhin. Oder nicht?" Annie sah unsicher zu David und wusste nicht, was sie tun sollte. Einerseits war es ihr schon wichtig, etwas richtig zu machen, aber solange sie unsicher darüber war, was denn nun das Richtige war und was dad Falsche, half ihr der Vorsatz wohl auch nicht weiter. Und David zu etwas überreden wollte sie auch nicht. Deswegen winkte sie schließlich ab und sah wieder nach vorne aufs Wasser hinaus. "Ich weiß es nicht ... entscheide du. Ich habe keine Ahnung, was zu tun ist."
"Denkst du ich," seufzte David und sah unschlüssig zu Annie. "Ich weiß nur, dass du in Bezug auf Jordan und Woody recht hast. Aber was das angeht, ich weiß es nicht. Wenn du einen Fehler vermeiden möchtest, dann ruf sie an. Du hast noch das Handy. Ansonsten lass uns warten bis sie sich sicherlich bald von selbst meldet."
Na, prima. Jetzt hatte sie doch den schwarzen Peter zugeschoben bekommen und sollte eine Entscheidung treffen, statt dass sie Hilfe bekommen hatte, die ihr bei der Entscheidung hätte nützlich sein können. Und was sollte sie jetzt tun? Sicher wollte sie den Fehler vermeiden, aber stören wollte sie auch nicht. Und wenn Renee gesagt hatte, dass sie sich auf jeden Fall meldete, wenn sie aus dem Krankenhaus raus waren? Dann sollte sie doch besser darauf warten, oder? "Was ... was denkst du, wie verlässlich Renee mit ihrem Versprechen ist, sich gleich zu melden, wenn sie kann?", fragte sie. "Glaubst du, sie ruft gleich an oder erst, wenn sie längst wieder zuhause ist? Denn wenn ersteres der Fall ist, dann könnten wir ruhig auf ihren Anruf warten. Wenn du jedoch denkst - und sie weiß, dass du so denkst -, dass sie erst später anruft, dann sollten wir es vielleicht doch versuchen, oder?"
"Sie ruft schon an. Wenn sie sagt, sie meldet sich, dann tut sie es ganz bestimmt. Und wenn sie gesagt hat sobald es passt und sie auch weiß, dass wir noch einmal bei ihnen vorbeischauen wollen, dann wird sie sich früher oder später auf dem Rückweg melden. Also entspann dich. Ja? Sie ruft an und wir fragen sie. Auf jeden Fall, damit wir beruhigt sein können."
"Ich entspann mich ja", sagte Annie leise und zog dabei eine kleine Schnute. David tat ja gerade so, als wäre sie die einzige, die sich hier verrückt machte und nicht wusste, was sie tun sollte. David ging es doch genau so. Oder nicht? Oder irrte sie sich da und David sah das alles viel lockerer? Weil er keine Gefahr für Renee sah und nur erleichtert war, dass der Tote ganz offenbar nichts mit ihnen bzw. mit ihm zu tun hatte? Oder tat er nur so und war in Wirklichkeit nicht weniger nervös als sie auch? "Gut, dann ... fahren wir langsam zurück zum Ufer und gehen schon mal wieder Richtung Hütte?", schlug sie vorsichtig vor. "Oder möchtest du noch eine Runde drehen und nach Chicki suchen?"
"Dann ist gut," sagte David mit einem kleinen Lächeln, was doch recht deutlich erahnen ließ, dass er es auf keinen Fall war - entspannt. Aber das Annie schon wieder mit Chicki anfing, war er gut abgelenkt und musste grinsen. "Chicki kann warten. Ich glaube wir drehen um. Sonst wird es auch zu anstrengend für uns zwei Rentner. Du mit deinen blauen Flecken und ich mit meinem kaputten Rücken."
Dann hatte sie sich also doch nicht geirrt und David dennoch irgendwie Unrecht getan, dachte Annie, als Davids Lächeln mehr als deutlich zeigte, dass es ihm nicht anders ging als ihr auch. Dass er selber gar nicht so entspannt war, wie sie nach seiner Empfehlung werden sollte. Etwas anderes hätte sie auch mehr als überrascht und es tat ihr Leid, dass sie - wenn auch nur gedanklich - so trotzig reagiert hatte. Sie schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln, das zu einem erleichterten Grinsen wurde, als David ihren innerlichen Wunsch offenbar bemerkt hatte und vorschlug, zum Bootsverleih zurück zu kehren und sich dann langsam auf dem Heimweg zu machen. "Das ist das Schönste, was du heute gesagt hast", meinte sie. "Nein ... eins der schönste Dinge. Ja, das klingt besser ... also dann zurück. Vielleicht können wir mit dem Verleih ja noch verhandeln. Falls es Seniorenrabatt oder so was geben sollte."
"Ja, mal sehen," sagte David und lachte leise und war froh, das richtige gesagt zu haben. Allerdings fand er es ein klein wenig schade, dass Annie sich so sher zurück ans Ufer wünschte und von dem kleinen Ausflug auch nicht mehr viel übrig geblieben war, was ihnen das Gefühl von Urlaub hätte vermitteln können. "Und wie klingt langsamer Aufbruch zurück zur Hütte?"
"Das klingt sehr gut", sagte Annie vorsichtig, während sie David aufmerksam musterte. Hatte sie jetzt etwas falsches gesagt? Wollte David gar nicht zurück und er hatte es nur angeboten, um ihr einen Gefallen zu tun, in der Hoffnung, dass sie ablehnte? So wie sie es in der Regel immer machte? Und hatte sie jetzt völlig falsch reagiert und ihn enttäuscht? Puh, irgendwie trat sie heute von einem Fettnapf in den nächsten. "Wir ... ähm ... was hältst du denn davon, wenn wir uns gleich für morgen ein Boot reservieren lassen?", schlug sie vor. "Dann fahren wir mit dem Wagen her und sind noch nicht so müde vom Laufen. Und wenn wir dann keine Leiche als Attraktion hätten, dann ... das würde doch entschädigen, oder?"
"Ja, vielleicht," sagte David. "Ich meine, wir wissen doch noch gar nicht wie morgen das Wetter wird und wie es uns geht und auf was wir morgen lust haben? Aber wenn du das gerne tun möchtest, machen wir das natürlich," sagte David und trat ein bisschen regelmässiger wieder in die Pedale, jetzt wo sie sich vom Ufer entfernt hatten und den offenen See erreicht hatten. Als in dem Moment das Handy von Abby klingelte zuckte er jedoch überrascht zusammen. Da hatten sie gerade eben noch davon gesprochen und er ließ sich doch davon überraschen.
Und jetzt hörst du dich genau so an wie Woody, dachte Annie, als David ihr die komplette Entscheidung überlassen wollte und sich ganz nach ihr richtete. Etwas anderes hatte Woody vorhin bei Jordan auch nicht getan. Aber Annie wollte nicht schon wieder davon anfangen und sie war froh, dass in dem Moment ein Handy klingelte und sie abgelenkt war. Trotzdem brauchte sie - wie vorhin auch schon - einen Moment länger, bis ihr Gehirn verarbeitet hatte, dass dies das Handy war, was in ihrer Tasche steckte und das sie annehmen musste. Über sich selbst den Kopf schüttelnd, rutschte sie ein wenig auf dem Sitz, bis sie an ihre Tasche kam und das Gerät herausziehen konnte. Wieder nur ein unbekannter Teilnehmer ... Sie hielt das Handy so, dass David es sehen konnte. "Meinst du, das ist Renee?", fragte sie. "Soll ich rangehen?"
--> Maggies Wagen Richtung Ferienhütte (Renees Handy)
Ach Maggie ist so gemein *gg* Btw ich bin mit Kate umgezogen, falls das gestern unterging. War fleißig im Einrichten der Ufer und Beschreibungen, hoffe es ist alles schlüssig.
16.30 Uhr, David
"Ich glaube schon, es würde passen," sagte David mit einem kurzen Blick auf seine Uhr und nickte dann. "Ja, ja geh mal ran."
Nö, Garret ist gemein, weil er einfach davon anfing. Hätte er mal den Mund gehalten Und hab ich gesehen, aber ich weiß ehrlich gesagt im Moment nicht, was die drei noch bereden sollten. Irgendwie fehlt da Gesprächs- und damit Füllstoff
16.30 Uhr, Annie
"Okay", sagte Annie, blickte das Handy aber noch einen Moment unschlüssig an, ehe sie auf den Rufannahmeknopf drückte und sich das Handy ans Ohr hielt. "Hallo?", fragte sie so vorsichtig wie vorhin, bereit, gleich wieder mit der Begründung falsch verbunden zu sein, aufzulegen, wenn es nicht Renee war.