Annie wünschte sich erneut, den Mund gehalten zu haben, als David so überrascht reagierte, dass er das Boot fast zum Kentern brachte und sich etwas auf ihrem Sitz herumgeschleudert wurde, was einerseits ziemlich schmerzhaft war und andererseits auch sicher alles andere als elegant aussah, sodass Annie instinktiv zu Jordan und den Cops sah, um zu kontrollieren, was diese gesehen hatten und worüber sie womöglich lachten - eine alte Angewohnheit aus ihrer Schulzeit, die sie einfach nicht ablegen konnte. Doch am Ufer war alles ruhig, sodass Annie wieder zu David sah, um ihm eine Antwort zu geben. "Sie meinte nur, dass du ... dass sie schon lange versucht, dich von etwas zu überzeugen und dass ich ihr vielleicht helfen könnte, dich zu überreden. Aber ich hab ihr gleich gesagt, dass ich das nicht tun kann und tun möchte, weil es ungeheuerlich von ihr ist, es von mir zu verlangen. Und das hat sie auch eingesehen. Glaube ich. Zumindest hat sie danach aufgehört, davon zu reden. Du solltest das wirklich ... mit ihr besprechen. Ich möchte mich da nicht einmischen oder Ratschläge in einer Sache verteilen, von der ich nur einen Bruchteil weiß und mich auf das verlassen müsste, was ich erzählt bekomme. So etwas mag ich normalerweise nicht und ... also ... das ist ... deine Sache. Und ich weiß ja auch nicht, inwieweit du mich daran teilhaben lassen möchtest", fügte sie leise hinzu und hatte dabei einen dicken Klos im Hals, weil sie sich wieder daran erinnerte, was David gestern noch vorgehabt hatte. Und auch wenn er ihr versichtert hatte, sie in solche Dinge einzuweihen, statt sie zu verheimlichen, war Annie sich nicht sicher, ob das wirklich global auf alles bezogen war oder ob er dazu überhaupt noch stand. Dafür waren die kleinen Informationsbrocken, die sie bekam, teilweise doch sehr wage und wenig hilfreich.
"Oh wissen Sie was, die Mühe nach Fingerabdrücken zu suchen, können sie sich sparen," sagte Jordan nach ihrer anfänglichen Enttäuschung und blickte zur Leiche. "Wer das getan hat, war ein Profi," sie zeigte auf den dunklen, schmalen Ring um den Hals der Leiche. "So etwas tut kein Anfänger und schon gar nicht ermordet man aus Leidenschaft mit einem Draht."
"Wow," der Coroner hatte zu JOrdan aufgesehen und kratzte sich jetzt nachdenklich die Bartstoppeln. "Das haben sie alles aus zwei Meter Entfernung erkannt."
"Ich sagte doch schon ich bin GErichtsmedizinerin und wenn sie mich nur einen Meter noch näher kommen lassen würden...."
"Oh versuchen sie es erst gar nicht, Dr. Cavanaugh. Ich habe ihre Handynummer und weiß wo sie im Moment wohnen. Wenn ich noch Fragen habe, weiß ich wo ich sie finde." Und damit drehte sich der Sheriff einfach herum und ließ Jordan stehen...
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David war im ersten Moment ein klein wenig über Renee aufgebracht und wäre fast aufgefahren, aber er wußte auch, dass Annie hier am aller wenigsten von allen etwas dafür konnte. Darum schluckte er seine Bemerkungen herunter und ließ Annie ausreden. Und war froh darum. Zum einen weil Annie die Sache so ruhig und neutral betrachtete, zum anderen weil er im Grunde ja wusste, dass es Renee nur gut meinte.
"Ich lasse dich doch an allem teil," sagte er deswegen auch erst einmal ein wenig überrascht. "Na gut, ich... ich hab dir diesen Teil vielleicht nicht auf die Nase gebunden, aber ich hatte doch erwähnt, dass ich Ally belasten würde, wenn ich aussage. Das weißt du doch nicht erst seit heute. Dass Renee und ich deswegen gestritten haben... tut nicht so sehr zur Sache. Wir haben uns ja wieder vertragen. Auch wenn das noch immer irgendwie zwischen uns steht und keiner mehr darüber reden möchte. Ich weiß auch, dass sie es nur gut meint und im Grunde hat sie ja recht, aber.. Jackson wird älter, und stellt Fragen und macht sich Gedanken. ich möchte nicht eines Tages von ihm hören müssen, dass ich ihm seine Mutter genommen habe. Das ist eine üble Zwickmühle. Sage ich gegen sie aus, wären alle, wirklich alle Beteiligten weggeschlossen und Jackson könnte zu mir ziehen... andererseits... ich kann es einfach nicht."
"Ich weiß, Honey", sagte Annie leise und suchte nach Davids Hand, um sie aufmunternd zu drücken. Sie hatte ganz kurz Angst gehabt, dass sie jetzt wegen der Sache streiten würden und sich unnötig aufregten. Zumindest hatte David kurz so gewirkt, als wäre er wütend und aufgebracht. Aber diese Wut war ganz schnell einer großen Verzweiflung gewichen, die Annie fast noch mehr wehtat, als hätte David sie angeschrien. Ihn so verzweifelt zu sehen, war schlimmer als jeder kleine Streit, den sie bisher gehabt hatten und Annie hätte gerne etwas getan, um ihm zu helfen. Doch da gab es nichts, was sie tun konnte. Außer ein paar Worten vielleicht und ihm zu zeigen, dass sie auf seiner Seite war. "Dasselbe habe ich Renee ja auch gesagt", erklärte sie. "Und sie weiß das ja selber auch. Nur .. sie denkt, es ist die einzige Chance für dich, das Sorgerecht zu bekommen. Und ich sollte dich davon überzeugen. Aber ich hab dieselben Argumente aufgeführt wie du gerade: Ich möchte vor deinem Sohn nicht eines Tages als die böse Frau dastehen, die ihm seine Mommy genommen hat. Und darauf würde es doch zwangsläufig hinauslaufen, wenn es dich dazu dränge, diese Aussage zu machen. Aber weißt du ... dieser Streit mit Renee tut sehr wohl zur Sache und ob er nun vorbei ist oder nicht ... es belastet dich und deswegen geht es mich schon irgendwie etwas an, oder? Selbst wenn ich daran nichts ändern kann, sodass ich dir trotzdem zuhören und vielleicht damit helfen."
"Ist ja schon gut, ist ja schon gut," sagte Jordan und schenkte dem Mann ein Lächeln. "Ich hab's verstanden...." und damit zog sie sich zurück, wenn auch nur sehr widerwillig.
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"Wir streiten ja nicht mehr darüber, weil wir das Thema einfach meiden," sagte David nachdem er ihre Hand fest in seine genommen hatte und ihr ein dankbares Lächeln geschenkt hatte. "Auch wenn das nicht die Lösung ist. Ihre Argumente sind ja auch völlig richtig und gut.. ich meine was spricht dagegen mit Jackson offen umzugehen? Ihm von anfang an zu erklären, was passiert? Das seine Mom ein paar dumme Dinge gemacht hat und jetzt ärger mit der Polizei hat und er eben so lange bei mir wohnen darf, bis alles vorbei ist. Das versteht er sicher. Aber das hört sich so einfach an, dass ich es einfach nicht glauben kann, dass es SO einfach ist. Ach es ist zum Verrückt werden. Wie gut, dass du es aber genauso siehst und nicht.. du weißt schon, wegen diesem besten Freundinen Ding," er grinste ANnie kurz schräg an. "Automatisch auf Renees Seite bist."
"Oh, ich glaube, Renee und ich sind noch meilenweit davon entfernt, beste Freundinnen zu sein", sagte Annie grinsend, wurde dann aber wieder ernst. "Und selbst wenn wir das schon wären, würde ich auf deiner Seite stehen, David", erklärte sie. "Denn das hier ist etwas, das dich betrifft und deinen Sohn. Nicht Renee. Alleine deswegen bin ich auf deiner Seite und versuche dich nicht zu etwas zu überreden, was Renee möchte. Auch wenn ihre Idee im Grunde gut ist. Nur wie du selber sagst ... in der Theorie hört sich das immer schön einfach an, nur in der Praxis ist es das selten. Aber wir finden eine Lösung. Zusammen. Wenn du das möchtest. Ich bin da für dich da und werde tun, was ich kann. Das weißt du, nicht?" Denn obwohl er ihr versichert hatte, dass er sie nicht raushalten würde, war Annie sich nicht hunderprozentig sicher, ob er es nicht unbewusst doch tun würde, indem er alles in sich hineinfraß, statt mit ihr über das zu reden, was ihn bedrückte.
"Das weiß ich. Wirklich," sagte David ernst und nickte. Und ein kleines, etwas zuversichtlicheres Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Na ja, ich weiß zwar nicht wie wir da eine Lösung finden werden, aber ich schätze zu zweit fällt es leichter darüber nachzudenken. Am Ende tu ich doch noch was sie will," fügte er mit einem Seufzen hinzu und ignorierte weiterhin, was Annie zu Anfang gesagt hatte. Die Hoffnung, dass die beiden nämlich doch gut miteinander klarkamen, gab David nicht so schnell wieder auf. "Oh... Jordan kommt zurück," stellte David dann überrascht fest, als er bei seinen Worten kurz zur anderen Seite geblickt hatte.
"Wir schaffen das schon, David. Gemeinsam." Annie erwiderte Davids Lächeln und drückte seine Hand, bevor sie diese wieder losließ und Jordan entgegenblickte, die im Moment ganz schön störte. Aber da Annie auch wusste, dass Jordan das nicht wusste und sie deswegen nichts dafür konnte, beschloss sie, ihr deswegen nicht böse zu sein. Es reichte der Rest, der Anlass dazu gab, nicht mit ihr zu reden, sondern David wieder alles zu überlassen.
"Ja, irgendwie, ganz sicher," nickte David und hoffte dabei zuversichtlich genug geklungen zu haben. Aber das Jordan wirklich zurückkehrte und dabei ziemlich besorgt aussah, war er schnell abgelenkt. Und hoffentlich auch Annie.
"Und... hast du etwas herausgefunden," fragte er schließlich, als Jordan wieder auf ihrer Höhe stand und sie nicht all zu brüllen mussten. Ihr Nicken und der düstere Blick ließ seinen Magen ganz kurz vor innerer Anspannung Achterbahn fahren. Wenn man die Gefahr selbst im Nacken sitzen hatte, waren genau solche Dinge Anlaß genug, dass man Panik bekam.
"Ja und ganz schön viel. Aber auch verwirrende Dinge," sagte Jordan und sah die beiden nachdenklich an. Sie wußte nicht in wie weit sie ihnen den Urlaub damit noch mehr verderben würde... aber ausweichen würde wohl kaum etwas bringen. "Da hinten liegt ein toter FBI-Agent. Und er wurde ganz offensichtlich ermordet."
"Ein toter FBI Agent?" Annie sah Jordan geschockt an und war überhaupt nicht auf so eine Neuigkeit vorbereitet gewesen, die sie wirklich überraschte und sie vergessen ließ, dass sie eigentlich nicht mehr mit Jordan kommunizierte. "Ich meine, bist du ... sicher? Hast du seinen Ausweis gesehen? War der echt? Oder hat nur jemand eine Marke daneben gelegt, um es so aussehen zu lassen, als wäre der tote ein Agent?" Denn was sollte so ein Kerl denn hier? Und warum wurde er hier in der Provinz umgebracht? Wären sie in Boston gewesen, hätte sie sich die Fragen gut beantworten können, aber hier ...? Nein, das passte irgendwie nicht zu der Gegend und der friedlichen Idylle.
"Ein toter ... was?", David war nicht minder überrascht wie Annie und sah fragend wieder zu Jordan, nach dem er kurz wieder zur Leiche geschaut hatte, die gerade aus dem Wasser gezogen wurde. Bei all den Fragen die Annie stellte, musste er sich fragen, ob er wirklich derjenige von ihnen war, der sich ursprünglich für die Sache interessiert hatte.
"Die Marke hatte eine Nummer," sagte Jordan überrascht von den vielen Fragen von Annie. Sie hatte damit gerechnet welche von David zu bekommen, aber es war okay... so redeten sie zumindest wieder. Wenn auch nur "dienstlich". "Ich denke wenn er echt ist, finden sie es heraus. Und ... der Mann ist Woody und mir gestern vor dem Institut gefolgt. In der Mittagspause. So ein großer Zufall scheint es gar ncht zu sein. Bei all den Dingen im Moment... Mafia da, Drogenmafia dort...
Und noch eine Mafia ..., dachte Annie und biss sich auf die Zunge, um das nicht laut auszusprechen. Wer David bedrohte, musste Jordan nicht wissen. Das ging sie nichts an. Zumal es hier sowieso Entwarnung zu geben schien, wenn es stimmte, was Jordan sagte, und sie den Mann schon einmal gesehen hatte, als er ihr gefolgt war. Nur dass das irgendwie auch keine Beruhigung war, sondern eher das Gegenteil. "Das beweist aber immer noch nicht, dass er wirklich FBI ist", warf sie ein, auch wenn sie wusste, wie unwahrscheinlich das war. Wenn dieser Typ ein Verbrecher war, dann wurde er wohl kaum umgebracht und als FBI Agent getarnt. Wer sollte so etwas tun? "Ich meine, er ... habt ihr mit dem FBI zutun gehabt? Personenschutz bekommen? Den Schlipsträgern in die Arbeit gepfuscht?"
"Nein, nicht das ich wüsste," sagte Jordan und dachte mit gemischten Gefühlen an diese merkwürdige Fallakte, die so ganz leer gewesen war. Vielleicht würde es Zeit werden Max anzurufen, um ihn auf den Zahn zu fühlen. Gut, er hatte gewollt, dass sie die FInger wegließ, aber er wußte hoffentlich genauso gut, wie wenig dieser Wunsch Wirkung zeigte. Die komischen Zwischenfälle häuften sich einfach zu sehr, um ihn weiterhin rauszuhalten. "Und ich bezweifel stark, dass Garret oder das Institut so sehr in Mißgunst gefallen ist, dass sich das FBI für uns interessiert. Und ich habe auch keine Ahnung.. nein, ich bin mir sicher, dass auch Woody keinen Fall bearbeitet, den das FBI interessieren könnte. Aber da ist noch etwas... dieser Tote," Jordan sah auch noch einmal zurück, wo man gerade einen Leichensack schloß. "Hatte ein Stück Papier im Mund, mit einem Cod beschrieben. Und ich weiß, dass Nigel vor einigen Tagen für Renee ein Buch bearbeitet hat, das Codiert war. Das ist jetzt vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber... mir fiele nichts besseres ein."
Woody wusste am Ende nicht mehr, wie lange er durch die Gegend gelaufen war. Er hatte weder Handy noch Uhr dabei und das Zeitgefühl ließ ihn auch im Stich. Selbst Hunger oder Durst waren kein Anzeichen dafür, wie lange er schon lange unterwegs war, und so hatte er sich auch keine allzu großen Sorgen wegen des fehlenden Wagens in der Auffahrt gemacht, als er nach seinem Spaziergang wieder an ihrer Hütte vorbeikam. Im Gegenteil, er war einfach weitergelaufen, irgendwann am See angekommen und ohne auf den Weg zu achten, weitergegangen, bis er in der Ferne geschäftiges Treiben entdeckte und neugierig näherging, in der Hoffnung, dass ein wenig Tumult ihn vielleicht von seinen trüben Gedanken ablenken würde. Doch mit jedem Schritt konnte er mehr erkennen und seine Sorge wuchs von Sekunde zu Sekunde, sodass er schließlich in einen leichten Trab verfiel und er sich dem Tatort – denn etwas anderes konnte es wohl kaum sein, wenn Polizisten und Spurensicherer auf einem Haufen versammelt waren und arbeiteten – schnell näherte. Dass etwas mit Jordan passiert war, war für ihn gleich klar gewesen, doch er wusste nicht, was genau passiert war und wie schlimm es um sie stand. Entsprechend erleichtert war er dann, als er Jordan am Ufer stehen sah. Erst konnte er nur ihre braunen Haare erkennen und die Umrisse ihres Körpers, der ihm so vertraut war, dass er keine Sekunde zweifelte, dass sie es auch wirklich war. Er war so erleichtert, sie zu sehen und zu wissen, dass ihr nichts passiert war, dass er den Streit, den sie vorhin gehabt hatten, für den Moment völlig vergaß und nach ihr rief.
"Renees Buch?", fragte Annie erstaunt und sah fragend zu David. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Buch Jordan meinte und um welchen Fall es sich möglicherweise handelte und wie heikel dieser war. Aber beruhigt war sie auf keinen Fall. Eher noch nervöser und auch enttäuschter und wütender. Der Urlaub war wohl ganz eindeutig vorbei und sie konnten wieder nach Hause fahren. Denn wenn ihre Fälle sie eh bis hierher verfolgten, dann konnten sie auch genau so gut in Boston sein und dort mit allen verfügbaren Resourcen an dem Fall arbeiten. Denn dass Jordan Blut geleckt hatte, war Annie klar. Und spätestens nachdem sie Renees Namen erwähnt hatte, war auch David dabei. Keine Frage ... Annie seufzte leise auf, wurde aber von Jordans Namen unterbrochen, den jemand laut rief. Und dieser jemand kam auch ziemlich schnell auf sie zu gelaufen. War das Woody?
David zuckte leicht mit den Schultern, als Annie sich fragend an ihn wandte und versuchte sich zu erinnern, ob Renee irgendwann mal ein Buch erwähnt hatte. Und da am Ende alle in anstarrten kam er ein wenig ins Schwitzen. Da war etwas gewesen. Ganz dunkel war ihm da etwas in Erinnerung. Aber ehe er dann etwas sagen konnte, wurde Jordans Name gerufen und er sah automatisch in die Richtung. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er Woody. Und Jordan schien nicht weniger überrascht zu sein.
Das und auch ein wenig unangenehm überrascht. Sie hatte gehofft ihr blieb eien Begegnung mit Woody erst einmal erspart. Aber das er hier schien wohl zu bedeuten, dass er sich sorgen gemacht hatte? Oder war er nur spazieren gegangen? Zufall? Egal.. er war hier und machte Jordan die Situation unangenehmer als sie mit Annie und David sowieso schon war.