Als Woody näherkam und die wie versteinerten Gesichter sah, wünschte er sich fast, er wäre nicht um den See herumgelaufen, sondern hätte doch in der Hütte auf das gewartet, was sich auch immer ergeben hätte. Es freute ihn zwar, dass Jordan hier war und ihr nichts passiert zu sein schien und auch dass sie mit Annie und David sprach, war mehr als er sich erhofft hätte - auch wenn er auf deren Gesellschaft momentan doch gerne verzichtet hätte. Er wollte nicht Zeuge von Runde 2 werden, selbst wenn es so aussah, als würden die drei zumindest normal miteinander umgehen. Und geredet hatten sie auch, bevor er nach Jordan gerufen hatte. Das war doch ein gutes Zeichen. Oder nicht?
"He", sagte er und sah dabei leicht nervös von einem zum anderen und dann weiter zu den Polizisten. "Was ist denn passiert? Geht es euch gut?"
Annie wusste nicht so recht, was sie sagen oder tun sollte, als plötzlich nicht nur Jordan hier war, sondern auch Woody, und die ganze Situation noch ein Stück ungemütlicher wurde, als sie es eh schon gewesen. Aber als Woody dann einfach die Stille durchbrach und zumindest redete, schaffte sie es, ihn leicht anzulächeln. Zu mehr war sie nicht imstande, weil die ganze Sache sie immer noch ziemlich überforderte.
"Uns geht es gut," sagte Jordan und versuchte zu lächeln. Es gelang, wenn auch nur ein ganz kleines Zustande kam. Aber das war besser als nichts. "Dem armen Kerl dahinten nicht," sie zeigte auf den Leichensack, der eben auf eine Bahre gehoben wurde. Sie war sich unsicher, wie sie mit Woody umgehen sollte und von daher war es ihr sehr recht, dass sie sich auf die momentanen Fakten konzentrieren konnten.
"Er wurde ermordet," sagte David und fühlte sich genauso unwohl wie der Rest der Anwesenden, aber versuchte das beste daraus zu machen. "Und Jordan sagte, ihr würdet ihn kennen. Er sei euch gestern Mittag egfolgt."
Als David mit den Schultern zuckte und deutlich machte, dass er genau so ahnungslos war wie sie selber, seufzte Annie leise, entspannte sich aber wieder ein bisschen. Wenn David nichts wusste, war es vielleicht auch gar nichts so wichtiges, was Renee da in Auftrag gegeben hatte und die Sorgen, die sie sich machte, waren umsonst. Andererseits erzählte Renee ihrem Bruder wohl nicht alles, sodass ihre Sorgen vielleicht doch begründet waren. Auch in Bezug auf Jordan und Woody, die beide alarmiert wirkten. Aber hatten die mit Renee zusammen gearbeitet? An einem gemeinsamen Fall? Wenn ja, dann konnte die Gefahr sich doch auf alle beziehen; auf Woody und Jordan, die den toten offenbar kannten, und auch auf Renee, falls dieser Zettel etwas mit diesem Buch zu tun hatte? An einem gemeinsamen Fall konnte Annie sich zwar nicht erinnern, aber auch hier galt wohl, dass sie nicht alle Informationen bekam. Deswegen war die Sache weiterhin mehr als merkwürdig ...
Woody wollte schon vorschlagen, dass er wohl am Besten einfach weiterging und die drei vergaßen, ihn überhaupt gesehen zu haben, als Jordan trotz der merkwürdigen, mehr als angespannten Stimmung dann doch lächelte - wenn auch verkrampft - und David es dann war, der weitere Informationen preisgab, die Woody so sehr erschreckten, dass er seinen Vorschlag gleich wieder vergaß und er stattdessen Jordan geschockt ansah. "Ihr meint diesen Mann beim Lunch?", fragte er. "Der, der vor dem Diner gewartet hat? Aber wie ... wieso sollte er uns hierher folgen? Er kann doch nicht den ganzen Weg hinter uns hergefahren sein und ... er konnte doch auch nicht wissen, wo wir hinfahren wollten und dass wir überhaupt gefahren sind. Oder doch?"
"Nicht zum Diner, Woody, zur Pizzeria? Du weißt doch noch, als wir fürs Institut viel zu viel Pizza besorgt hatten," korrigierte Jordan Woody und lächelte ihn dabei leicht an. "Oh und er ist wahrscheinlich ein FBI-Agent, der durchaus wissen konnte, wo wir hin wollten. Du weißt doch, die haben fast zu allem Zugang. Ich wüsste nur nicht, warum wir sooo interessant sein sollten, dass man uns in Maine beschatten lässt. Und wer um alles in der Welt hat etwas davon, ihn zu töten. Hinzurichten, würde ich fast sagen. Er wurde erdrosselt und hatte diesen Zettel im Mund...", Jordan war schon voll damit beschäftigt in Gedanken alle Möglichkeiten durchzuspielen. Aber sie fand es passte so gar nichts zusammen, was einen Sinn ergeben hätte.
"Ach ja, richtig", murmelte Woody und erinnerte sich wieder an die Pizza, die dann doch kaum jemand gegessen hatte, weil das "Macy-Drama" in die nächste Runde gegangen war. Er seufzte leise und hörte Jordan bei ihrer Theorie zu. Eigentlich wollte er davon gar nichts wissen, und alleine die Tatsache, dass das FBI hinter ihnen her war, machte ihm großen Kummer. Ob das etwas mit der verlorenen Akte von Max zu tun? Oder sogar mit Cal? Hatte der das FBI am Hals und sie verfolgten nun ihn als den Bruder, in der Hoffnung, dass Cal bei ihm auftauchen würde? Aber dann hätte Annie doch etwas gesagt. Wenn sie etwas davon wusste. Und wenn sie solche Informationen überhaupt noch bereit war, weiterzugeben ... "Kann das kein Zufall sein?", fragte er vorsichtig. "Oder ... steht fest, dass der Mann vom FBI ist?"
"Er hatte eine Marke," sagte Jordan mit einem Schulterzucken. "Sie schien echt zu sein. Auf den ersten Blick. Der Dorfsherif ließ mich ja nicht ran," maulte sie ein wenig mit Blick zurück zum Tatort. "Ich weiß ja nicht... wie ihr das seht, aber mir liegt dieser Verdacht etwas schwer im Magen, wegen dieser Seite... aber jetzt wo es Garret und Renee sowieso nicht so gut geht, würde ich sie... zu sehr aufregen, wenn ich sie danach fragen würde?", Jordan war die Frage an David gerichtet nicht leicht gefallen. Zum einen fragte sie normalerweise nicht um Erlaubnis. Sie tat, was sie wollte. Ohne Rücksicht. Aber das war wohl in diesem Fall nicht mehr so ganz möglich. Zum anderen sprach sie David direkt an. Die ganze Zeit über war die Unterhaltung mehr oder weniger beruflich orientiert gewesen und da hatte sie keine Probleme gehabt. Jetzt war sie direkt ein wenig befangen.
"Also... na ja, es ist nur eine Frage," sagte David unsicher. "ich denke nicht. Ich meine, falls das etwas mit einem von Renees Fällen zu tun hat, wird sie sicher davon wissen wollen. Verheimlichen können wir es ihr wohl kaum."
"Tja, dann ... dann ruf sie doch an", meinte Woody, obwohl er unschlüssig war, ob er wirklich wissen wollte, ob das einer von Renees Fällen war oder nicht. Wäre er es gewesen, hätte er zumindest die Gewissheit, dass es sich nicht um Calvin handelte. Aber sonst ... "Ich frage mich nur, warum der Kerl dann uns verfolgt hat und nicht Renee", wandte er dann ein und Annie nickte heftig dazu, weil sie gerade denselben Einfall gehabt hatte. "Ich habt in dem Fall nicht mit ihr zusammengearbeitet, oder?", fragte Annie, woraufhin Woody den Kopf schüttelte und Annie sich an David wandte. "Ich weiß nicht, ob man Renee das alles noch zumuten soll. Sie soll hier Urlaub machen und versuchen, ihre privaten Dinge in den Griff zu bekommen. Arbeit würde da nur ablenken und wie ich Renee einschätze, wird sie die Information als gute Gelegenheit sehen, ihre Sachen zu packen und zurück zu fahren. Und dann hat das alles nichts gebracht."
Jordan hörte überrascht auf, als Annie so viel Verständnis für Renee aufbrachte und fast schon dazu drängte, dass sie sie nicht damit belästigen sollten. Gut, es war ja auch nur eine wage Vermutung und sie wollte nicht noch jemanden den Urlaub verderben, aber war er das bei Renee und Garret nicht schon?
"Ich weiß nicht... ich dachte vorhin, als ich den beiden begegnet bin, dass Urlaub machen ein bisschen anders aussieht, als sich ins Krankenhaus fahren zu lassen," merkte Jordan an und ersparte sich jede andere Anspielung. "Ein Anruf, kann da kaum noch mehr anrichten, oder?"
David wollte gerade Annie zustimmen, als Jordan mit ihrer Bemerkung ihn dazu veranlaßte schwer zu schlucken und ihn erst einmal zu verstummen brachte. Das er den beiden den Urlaub zum Teil vermiest hatte, wusste er schließlich selbst. Das musste ihm Jordan nicht auf die Nase binden. Aber er wollte verhindern, dass Annie deswegen JOrdan wieder etwas an den Kopf warf, falls sie überhaupt etwas zu ihr sagen wollte, und räusperte sich hastig. "Uhm... vielleicht, vielleicht nicht, nein. Aber anrufen werde ich sie auch nicht. Ich habe keine Ahnung wo sie steckt, ob bei der Behandlung oder wieder auf dem Rückweg... aber wenn du sie anrufen möchtest, Jordan... bitte nur zu."
"Du machst doch eh, was du willst", murmelte Annie so leise, dass höchsten David sie hätte verstehen können, aber auf keinen Fall Jordan. Mit der war sie jetzt wieder fertig. Sie hatte eh schon genug gesagt und war von ihrem Vorhaben abgewischen. Aber nach der erneuten Ohrfeige wusste sie wieder, warum sie den Plan überhaupt gefasst hatte und warum es sinnvoll war, sich auch daran zu halten. Sie senkte den Blick und seufzte leise auf. Wären sie doch gleich wieder zur Hütte gegangen, nachdem sie Abby sicher wussten ... dann wäre ihnen diese Begegnung hier erspart geblieben und sie könnten jetzt schon in aller Ruhe auf der veranda liegen, statt sich wieder aufregen zu müssen.
Als Jordan auf seine Bemerkung gar nicht weiter einging und stattdessen wieder damit begann, Giftpfeile zu verschießen, bereute Woody es, dass er sich überhaupt eingemischt hatte oder hergekommen war. Die kurze friedliche Stimmung war wohl nur ein Trugschluss gewesen, eine kurze Pause vor der nächsten Runde, die gerade eingeläutet worden war, und damit etwas, das er gar nicht wollte. Das Drama vorhin hatte ihm gereicht und dass Jordan bei Garret gewesen war und ihn wieder ihm selber vorgezogen hatte, sagte doch schon alles darüber aus, wie es um sie stand und welchen Stellenwert er noch in seinem Leben hatte. Nämlich gar keinen. Sie war doch nicht mal zurück in der Hütte gewesen, um nach ihm zu sehen oder sich zu vergewissern, dass er nicht Amok lief, weil sie verschwunden war ... Okay, das konnte er nicht so genau wissen, weil er ja selber unterwegs gewesen war, aber der fehlende Wagen und Jordan Hiersein waren Beweis genug dafür, dass seine Vermutung stimmte. Warum sonst sollte sie mit dem Wagen wieder losfahren und hier am anderen Ende des Sees landen?
Jordan wußte, dass sie mal wieder zu weit gegangen war, aber sie hatte nur gesagt, was wahr war. Sie hatte Garret nicht zusammen geschlagen und sie hatte ihm auch nicht den Urlaub damit vermiest. Trotzdem tat es ihr leid, dass es wieder zu einem unangenehmen Schweigen zwischen ihnen kam und Annie sich ganz offensichtlich aus dem Gespräch ausklinkte. Sie seufzte leise, aber frustriert.
"Okay, was soll ich tun? Was sollen wir tun? Bei all den Bedrohungen die es im Moment gibt, einfach ignorieren, dass da ein toter FBI Agent liegt? Oder uns darum kümmern, damit wir zumindest ausschließen können, dass er mit einem von uns etwas zu tun hat?"
David versuchte nicht zu grinsen, als Annie neben ihr ein paar böse Worte murmelte und ihm damit aus der Seele sprach. Aber natürlich verkniff er sich einen Kommentar und sah dann Jordan ehrlich hilflos und ratlos an, als sie von ihnen eine Enttscheidung wollte.
Verschwinden und nie mehr wiederkommen, dachte Annie, als Jordan doch allen ernstes auf einmal wissen wollte, was sie tun sollte. Als ob da ihre Meinung etwas ändern oder richten würde ... am Ende waren sie und David ja doch wieder die bösen - egal, was sie sagten oder vorschlugen, sobald es nur den Anschein erweckte, schief zu gehen, würde Jordan ihnen alle Schuld zuschieben. Aber ohne sie. Sie war hier fertig. Und entsprechend stumm und desinteressiert blieb sie dann auch.
"Vielleicht ... wie wäre es, wenn du dich einfach mal wie eine Zeugin verhältst und eine Aussage machst?", schlug Woody vor, um das Schweigen zu brechen, auch wenn er eigentlich keine große Lust mehr hatte, noch hier zu sein oder sich Gedanken darüber zu machen, was Jordans geliebter Garret vielleicht denken oder tun würde, wenn er von dem hier erfuhr. Aber da niemand sonst etwas sagte und weil da immer noch dieser nagende Verdacht war, dass das ganze etwas mit ihm und Cal zu tun hatte, konnte Woody nicht stumm dabei stehen und nichts tun. "Sag den Kollegen, was du gesehen hast und was du denkst und vermutest. Und dann lass sie ihre Arbeit machen. Ich meine, noch steht doch gar nicht fest, wer der Tote ist und ob er überhaupt vom FBI ist und wenn er es ist, dann lässt sich herausfinden, was er hier zu tun hatte. Und wenn das bekannt ist, können wir immer noch entscheiden, was wir tun und was wir nicht tun. Oder nicht? Das ist dann 'uns kümmern ... und ausschließen. Mehr können wir nicht tun. Weil wir hier nicht in Boston sind und das nicht unser Fall ist. Du bist Zeugin und wir sind nichts. Punkt. Aus."
"Ja aber... aber das hab ich doch gemacht," sagte Jordan überrascht von Woodys Versuch sie in die Richtung Passivität zu drängen. Wahrscheinlich tat er das sowieso nur, um von hier schnell wieder verschwinden zu können, ob mit ihr oder ohne sie schien ihm dabei wohl egal zu sein. Er wusste doch besser als alle anderen hier, wie sehr ihre Neugier geweckt war. "Ich hab dem Sheriff längst gesagt was ich weiß. Er hat meine Handynummer und weiß wo wir wohnen. Aber du glaubst doch nicht selbst, dass sich da jemand bei uns melden wird, um uns zu sagen, wer der Tote ist. Das müssen wir selbst herausfinden und ein Anruf wird da sicher nicht helfen. Schon gar nicht wird uns das FBI sage, wieso einer ihrer Männer zwei unschuldigen Bürgern hinter her geschnüffelt hat. Oder den Zettel. Den wird uns auch keiner erklären." Aber bitte... wenn sie nicht wollten? Sie konnte die drei nicht zwingen ihr zu helfen. Oder auszuschließen, dass sie alle in Sicherheit hier ihren Urlaub verbringen konnten, weil der Tote nicht einer von Milos Killern war, oder die Mafia, die verhindern wollte, dass Woody und sie mehr über die ominöse Akte herausfanden.
"Und was willst du sonst machen?", fragte Woody. "Dich an die Leiche ketten und solange protestieren, bis man dir sagt, wer der Tote ist und was das alles sollte?" Er konnte ja verstehen, dass Jordan lieber aktiv mitarbeitete, aber das hier war nicht ihr Fall und sie konnten nur abwarten. "Oder glaubst du, dass Renee dir aus dem Stehgreif all die Fragen beantworten kann? Wenn sie denn überhaupt etwas davon weiß ... Wohl kaum, oder? Also hast du eigentlich keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, dass die Jungs dort ihre Arbeit machen. Wenn sich etwas ergibt oder der Verdacht besteht, dass wir irgendwie beteiligt sind, dann werden sie sich schon melden."
"Großartig...," sagte Jordan enttäuscht, als wie zu erwarten von David und Annie gar keine Unterstützung kam und Woody dazu auch noch auf Abwehrstellung ging. "Willst du gar nicht wissen, wer dieser Kerl ist, der uns verfolgt hat? Ich erinnere dich nur an gestern Nacht. Ich hab gesagt, da ist jemand, du hast von Kaninchen gesprochen. Alleine die Vorstellung, dass er uns gesehen hat.. beobachtet hat," ein bisschen beschämte es Jordan, aber mehr noch jagte es ihr einen Schauer über den Rücken. "Macht mir angst. Und selbst wenn Renee keine Antworten hat, hätten wir zumindest Gewissheit."
"Doch, natürlich will ich das wissen, Jordan", sagte Woody seufzend, während er den Vorabend vollkommen gedanklich ausschloss und nicht daran dachte, was sie getan hatten, als noch alles in Ordnung gewesen war, und wer sie vielleicht dabei gesehen hatte. "Aber wir wissen doch gar nicht, ob da gestern Nacht jemand war und ob das dieser Mann dort war. Vielleicht war da niemand oder jemand ganz anderes ... Und noch einmal: Ruf Renee an, wenn dir danach ist. Ich glaube, niemand verbietet es dir. Aber schlauer wirst du danach immer noch nicht sein und nicht wissen, wer er ist."