"Ja, ich weiß", murmelte Annie und seufzte innerlich, während sie mechanisch weiter die Pedale trat und finster zum Ufer blickte. Sie war zwar auch neugierig und fragte sich, was wohl passiert war, aber sie wollte es trotzdem nicht wissen. Die letzten Minuten hatten sich endlich wie Urlaub angefühlt und das da vorne war eindeutig so wenig Urlaub wie die ganzen schrecklichen Stunden davor, die die wenigen ruhigen Momente irgendwie ziemlich unbedeutend und klein erscheinen ließen. Und das gefiel Annie ganz und gar nicht. Aber was sollte sie machen? Sie war nun mal hier gefangen; in diesen Boot und in dem Alptraum, der ihr Leben war.
David zog kurz eine Augenbraue in die Höhe, sagte dann aber doch lieber nichts mehr und konzentrierte sich aufs Treten und auf das Steuer. Das vor der Landzunge eindeutig etwas im Wasser lag, konnte David inzwischen erkennen, nur nicht was. Aber dafür entdeckte er schräg von dem Fund eine Gestalt, die ihn einfach so überraschte, dass er mit Treten aufhörte. Er war sich dabei allerdings nicht sicher, ob er Annie auf Jordan aufmerksam machen sollte. In ihrer momentanen Verfassung würde sie ihm wohl das Ruder entreißen udn eigenhändig zurück zum Bootsverleih treten...
Da David auch nichts mehr sagte, schwieg Annie ebenfalls und versuchte einen Blick auf das Ufer zu werfen, ohne allzu neugierig zu wirken oder gleich als Gaffer abgestempelt zu werden. Sie wusste genau, wie diese neugierige Meute von der anderen Seite des Absperrbandes her wirkte und deswegen konnte sie gut einschätzen, wie sie und David samt Boot wohl wirken würden, wenn sie einmal die Aufmerksamkeit der hiesigen Polizei erlangt hatten. Dann waren sie hier schneller wieder weg als sie denken konnte. Und irgendwie war das auch genau das, was Annie gerne hätte. Neugier her oder hin. Es gab einfach Grenzen, die sie einhalten wollte. Besonders im Urlaub. Und als sie dann auch noch dieselbe Gestalt entdeckte wie David ohne ihr Wissen zuvor auch schon, wünschte Annie sich erst Recht, dass sie nie hergekommen wären. Das war doch Jordan dort. Wenn sie das richtig sah. Ob etwas passiert war? Mit Woody? Oder hatte Jordan einen Unfall gehabt? Oder … ja, oder was? „Ist das … Jordan?“, fragte Annie dann aber erst einmal vorsichtig nach, bevor sie sich weitere Gedanken machte.
"Jordan? Wo?", spielte David völlig unschuldig und ärgerte sich innerlich, dass Annie in dieselbe RIchtung gesehen hatte. "Oh.. ja, ja ich glaube das ist Jordan. Ich will ja nichts groß sagen... aber jetzt mach ich mir wirklich sorgen," auch wenn er sie sich nicht machen wollte. Aber das war doch kein Zufall, dass Jordan da vorne dabei war? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass Jordans neugierige Nase mitten in der Wildnis über etwas stolperte, das völlig harmlos war?
"Ja, ich auch", grummelte Annie und sah missmutig zum Ufer, während sie Jordan innerlich dafür verfluchte, dass sie es jetzt doch irgendwie schaffte, ihnen den Urlaub ganz zu ruinieren. Erst eben der Streit und jetzt das ... Sicher, da war die leise Stimme in Annies Kopf, die ihr sagte, dass Jordan sicher nicht mit Absicht ein Polizeiaufgebot engagiert hatte, um ihnen die Bootsfahrt zu ruinieren, aber das änderte trotzdem nichts daran, dass Annies Laune einen neuen Tiefpunkt erreicht hatte und man es ihr auch ziemlich deutlich ansehen konnte.
"Ich hoffe, die machen wir uns aber völlig unbegründet," sagte David und überlegte, was Annie von seinem Vorschlag halten würde direkt auf das Ufer zu zufahren. Jetzt wo sie dort jemanden kannten? Dann waren sie doch alles andere als neugierige Touristen. "Uhm... weißt du was? Lass uns doch ein Stück darüber fahren," er zeigte von Jordan nach rechts, wo der Schilfgürtel wieder anfing, aber das Wasser noch tief genug für das Boot zu sein schien, gemessen an dem untergegangen Baumast, der mit einer Spitze aus dem Wasser ragte. "Dann können wir vielleicht auch einfach Jordan fragen, ohne uns bei der hiesigen Polizei unbeliebt zu machen."
„Dann kannst du sie fragen“, sagte Annie, nachdem sie kurz über Davids Vorschlag nachgedacht hatte. Gut fand sie ihn nicht unbedingt, aber ihr fiel auch nichts Besseres ein, weswegen sie sich einfach ihrem Schicksal ergab und beschloss, David machen zu lassen. Sie würden ja doch keine Ruhe finden, wenn sie jetzt einfach wieder abdrehten. Und irgendwie war es ihr auch wichtig, zu wissen, dass nichts mit Woody passiert war oder jemand Jordan angegriffen hatte und sie in Notwehr jemanden umbringen musste. Oder was auch immer dort passiert war … „Mit mir wird sie nicht reden“, erklärte sie mit leicht sarkastischem Unterton. „Und ich habe auch keine Lust, mit ihr zu reden. Aber mach ruhig … vielleicht hört sie dir ja zu. So richtig meine ich. Dass sie den Sinn deiner Worte annimmt und nicht nur registriert, dass Laute aus deinem Mund kommen.“
„Natürlich frag ich sie. Du musst mir ihr kein Wort wechseln, wenn du das nicht möchtest," versicherte David verständnisvoll und lenkte das Boot in die eben gezeigte Richtung, was sie und das Boot vom Ort des Geschehens ein wenig weglenkte und der erste neugierig gewordene Kopf, sich wieder senkte, um sich seiner Arbeit zu widmen. "Und ich hoffe doch sehr, dass sie zu hört."
"Danke, dass du ... also ... für dein Verständnis", sagte Annie und konnte dabei nicht ganz verbergen, wie überrascht sie doch war, dass David ihrer Bitte so einfach nachkam und nicht verlangte - oder sie darum bat -, dass sie mit Jordan sprach. Jordan war auf ihn sicher genau so sauer und er hatte wahrscheinlich ebenso wenig Lust auf ein Gespräch wie Annie selber. Dass er es aber trotzdem führen wollte, rechnete Annie ihm hoch an. Auch wenn sie einen Teil seines Muts auf seine Neugier schob ... aber das änderte nichts an ihrer Dankbarkeit. Annie lächelte David an, während sie ihm durch kräftigeres Treten dabei half, das Boot dorthin zu lenken, wo er hinwollte, und war erneut dankbar, dass sie David in ihr Leben getreten war und seitdem mehr als einmal als ihr persönlicher Ritter in glänzender Rüstung aufgetreten war. Allerdings war sie, was Jordan anging nicht ganz so optimistisch wie David, aber sie wollte ihm nicht den Mut nehmen und sagte deswegen nichts weiter dazu. "Sieht nach einer größeren Sache aus", murmelte sie stattdessen, als sie das doch verhältnismäßig große Aufgebot aus der Nähe sah und sie sich fragte, in was Jordan da wohl wieder rein geraten war.
"Ja, ich befürchte fast, dass unsere Sorgen sich doch noch bestätigen. Und.. hey, kein Problem. Ich hab doch immer Verständnis für dich, das weißt du doch. Und gerade in der Sache. Jordan wird mir schon nicht gleich den KOpf abreißen, wenn ich das Gespräch anfange... oh schau mal, sie hat uns glaube ich auch entdeckt," er zeigte zum Ufer, wo Jordan eine halbe Bewegung mit ihren Arm machte, die dann aber erstarrte und aus dem Winken nichts wurde.
"Und scheinbar sind wir alles andere als willkommen", grummelte Annie schlecht gelaunt, und Davids aufgebrachtes Verständnis wog mit einem Male nichts mehr auf oder trug dazu bei, ihre Stimmung wieder zu heben. Im Gegenteil, sie sank noch tiefer, weil Annie am liebsten den Vorschlag gemacht hätte, einfach umzukehren, aber Jordans Entdeckung und Davids Wille, an Land zu gehen oder zumindest anzuhalten jetzt dazu führte, dass sie nicht wieder umkehren konnten. Nicht, ohne ihr Gesicht nicht ganz zu verlieren. Trotzdem sah Annie flehend zu David, brachte aber kein Wort heraus.
"Ich weiß nicht...," sagte David vorsichtig. "Ich schätze ihr wird es im Moment nicht anders ergehen wie uns selbst, findest du nicht?", er wollte nicht vorschnell urteilen und die Situation durch negative Annahmen gleich noch schlimmer machen. Es reichte schon, wie Annie ihn ansah, um zu wissen, was sie von allem hielt. Und da sie das Ufer schon fast erreicht hatten, sah er zu Jordan zurück und winkte einfach, um ihr zu zeigen, dass es vollkommen okay gewesen wäre, wenn sie gewunken hätte. "HEY JORDAN!", rief er dabei und hoffte damit nicht sämtliche Enten um sie herum aufzuscheuchen oder gar die Leute ein paar Meter links von JOrdan.
"Keine Ahnung", antwortete Annie und zuckte mit den Schultern. Sie wusste es wirklich nicht, vermutete aber stark, dass Jordans Verhalten nicht in dem begründet lag, was David gerade gesagt hatte. Jordan war niemand, der seine Unsicherheit offen zeigte. Sie war jemand, der es immer schaffte, nach außen hin kühl und überlegen zu wirken, immer Herr über jede Situation ... Und dass sie ihre Begrüßung abgebrochen hatte, war für Annie einfach ein deutliches Zeichen dafür, dass sie hier nicht willkommen waren. Aber all das brachte Annie nicht über die Lippen und als David dann auch noch nach Jordan rief und auf sich aufmerksam machte, war es eh zu spät und Annie beschloss einfach, dass es das Beste war, wenn sie ab jetzt gar nichts mehr sagte und David einfach das machen ließ, was er tun wollte, um das zu bekommen, was er erreichen wollte. Er war ein großer Junge und brauchte ihre Hilfe nicht. Nicht in dem Fall. Annie griff nach hinten, nahm sich wieder die Wasserflasche, die sie gerade erst wieder weggestellt hatte und schraubte sie auf, um einen Schluck zu trinken. Das Treten hatte sie eingestellt und ihre Füße seitlich neben den Pedalen abgestellt. Ein wenig unfair und faul kam sie sich deswegen zwar schon vor, aber so konnte David wenigstens so navigieren wie er es wollte, ohne ihr Anweisungen geben zu müssen.
Als Jordan das Winken am Ufer dann doch erwiderte verkniff sich David eine Bemerkung zu Annie. Er hatte es so schon schwer genug das Boot alleine zu navigieren, nachdem Annie das Treten eingestellt hatte. Er fragte sich nur, ob aus Verärgerung über die ganze Situation, oder weil es ihr doch nicht so gut ging, wie sie die ganze Zeit versichert hatte. Aber fragen wollte er auch nicht direkt. Aus Angst vor der Antwort. Er tippte sowieso auf weiblichen Trotz. Darum lenkte und trat er das Boot ein Stück von Jordan weiter entfernt in das tiefere Wasser, aber nah genug, um nicht mehr schreien zu müssen, um all die Offiziellen auf sich aufmerksam zu machen...
Ich wechsel dann mit Jordan hier rein. Ist dann wohl einfacher denke ich mal
"Hallo", murmelte Annie leise auf Jordans seltsamen Gruß hin, sah Jordan dabei aber nur einmal kurz an, bevor sie den Blick wieder abwandte und sich damit beschäftigte, den Deckel zurück auf die Flasche zu schrauben und diese dann wieder hinter dem Sitz zu verstauen. Dass Jordan gewunken hatte, hatte sie nicht gesehen, sonst hätte sie sich sicher anders gefühlt und auch verhalten, aber so blieb sie einfach stumm und reserviert, abwartend, was kommen würde und welche Informationen sie freiwillig bekamen und nach welchen David fragen musste.