"Na, du solltest dich aber nicht mit Schmerzen herumquälen, nur um dich selbst zu bestrafen", sagte Annie tadelnd. "Das bringt doch nichts. Dir nicht und Garret auch nicht. Im Gegenteil ... dadurch fällt dann vielleicht eher das Essen aus oder sonst was. Und das willst du doch auch nicht, oder?" Sie fand es zwar irgendwie schon schön, dass David Buße tun wollte, aber es so zu tun, war auch der falsche Weg. Fand sie zumindest. Aber wenn er meinte, dass es nicht so schlimm sei und sie weitergehen konnten, dann wollte sie ihm nicht widersprechen. Aber genauer im Auge behalten würde sie ihn schon ...
"Sicher nicht, aber glaub mir, ich bin hart im nehmen. So was haut mich schon nicht um, okay? Mach dir keine Sorgen. Wenn ich mir keine wegen dir machen soll, darf, dann bitte du nicht auch wegen mir. Darum hab ich ja nichts gesagt. Wir haben schon genug Sorgen und Probleme. Da ist ein bisschen KOpfweh und Kinnschmerz vertretbar. Wirklich."
Annie gab sich geschlagen und zuckte mit den Schultern. So ganz überzeugt oder beruhigt war sie noch nicht, aber sie wollte hier auch nicht großartig die Welle machen und stundenlang diskutieren, deswegen nickte sie nur und sah lächelnd zu David. "Ist in Ordnung", meinte sie. "Wechseln wir einfach das Thema und reden nicht mehr über unsere Wehwehchen. Wir schließlich noch jung und keine von diesen alten Leuten, die nur noch über ihre Krankheiten stöhnen können und sonst keine Gesprächsthemen mehr haben."
"Okay, jetzt aber definitiv Themawechsel. Jetzt sind wir schon wieder bei meinem Lieblingsthema Alter angelangt und du weißt ja, DA kann ich durchaus jammern," sagte David mit einem Stöhnen, wobei er aber doch grinste. "Außer du willst mir dann wieder einen Vortrag über reifere Männer und so halten, dann verkneife ich mir einen Kommentar."
"Oh, ich mag ältere Männer wirklich", sagte Annie grinsend. Sie hatte es extra vermieden, auf Davids Alter anzuspielen, weil sie ja durchaus wusste, wie wehleidig er bei dem Thema werden konnte - und das empfand sie dann wirklich als leidend und übertrieben -, aber wenn er es so wollte ... "Weißt du, hättest du mir zugehört, dann hättest du gemerkt, dass ich sagte, wir sind noch jung und nicht alt. Aber scheinbar wolltest du das gar nicht hören, sondern lieber jammern. Aber nicht mit mir ... hier wird nicht in Selbstmitleid gebadet. Noch bist du keine Vierzig und aussehen tust du gerade mal wie fünfunddreißig. Und das ist nicht untertrieben, sondern die Wahrheit. Okay?"
"Haha," sagte David gequält und langte sich automatisch an die Seitenpartie mit den ersten kleineren grauen Härchen. "Klar... für dich vielleicht. Fragen wir beim nächsten Besuch auf dem Campus mal die jungen Dinger, die da so rumlaufen... oder frag nachher Abby. Die wird dir schon bestätigen, dass ich alt bin. VOn wegen wehleidig...," allerdings grinste er schon wieder und schüttelte über sich selbst den Kopf. "Ist aber schon gut, ich sag nichts mehr dazu. Du hast wie immer vollkommen recht und dein jugendlicher, sportlicher, ohne Gebrechen belasteter Freund bringt dich jetzt mit einem Boot über den See." Inzwischen hatten sie auch schon wieder den Strandabschnitt erreicht, auf dem für die noch recht frische Jahreszeit einiges los war. Schließlich war Wochenende. David wollte sich gar nicht vorstellen was morgen erst hier los war.
"Na ja, wenn dir die Meinung von diesen jungen Dingern oder von Abby so wichtig ist, dann ... dann musst du wohl damit leben", meinte Annie, war aber lange nicht so bedrückt wie sie vielleicht klang. "Ich dachte, es würde dir reichen, dass du mich hast und dass die Frau, die dich liebt, dir bestätigt, dass du nicht alt bist. Aber wenn du die Bestätigung von anderen brauchst, dann müssen wir Abby wohl fragen." Annie grinste schwach und wusste selbst nicht, was mit ihr los war und warum sie auf diese scherzhafte Bemerkung so komisch reagierte. Sie wusste doch, dass David es nicht ernst gemeint hatte und dass er nicht einer dieser Männer war, die sich in der Midlife-Crisis eine zwanzig Jahre jüngere Studentin suchten. Aber trotzdem fühlte sie sich nicht gut. Zum Glück erreichten sie aber wieder Zivilisation - zumindest waren hier mehr Menschen unterwegs als sie bisher getroffen hatten - und Annies Gedanken wurden von der Suche nach dem Bootsverleih abgelenkt. "Wir hätten doch unsere Badesachen mitnehmen sollen", meinte sie, als sie gerade ein paar todesmutige Senioren - von denen die Männer aber auch wirklich alt aussahen - Richtung Wasser gingen und die ersten sich schon in die 'Fluten' stürzten. Annie wurde beim Anblick schon eiskalt und sie schüttelte sich fröstelnd.
"Es war nur eine Idee," sagte David mit einem unschuldigen Zucken der Schultern. Nur eine Idee... und ein Spaß. Aber scheinbar war die Sache für Annie nicht so witzig. Nur wusste David nicht so recht, wieso sie jetzt damit ein Problem hatte. Aber da Annie sich lieber vom bunten Treiben um sie herum ablenken ließ, ging er nicht mehr weiter darauf ein und sah den mutigen Badegästen hinter her, die Annie wohl mit ihrer Bemerkung gemeint hatte. "Oh je, ich hab nicht vor mir etwas abzufrieren. Insbesondere nicht mein aller bestes Stück," fügte er mit einem breiten Grinsen hinzu. "Und ich glaube du magst auch Long Island nicht so zur Schau stellen, oder? Wenn doch, kann man sicher in Rockland was passendes kaufen... wenn man Lust auf Eisbaden hat."
"Brr ... nee, muss nicht sein", meinte Annie und schüttelte sich. "Eisbaden soll ja gut für die Abwehrkräfte sein, aber ich denke, das zeugt eher von Verrücktheit. Und die ist in dem Fall nicht gesund. Vorallem dann nicht, wenn dein allerbestes Stück in Gefahr ist." Annie grinste David an. "Mir liegt der Sinn eh nach einem heißen Tee, einer kuscheligen Decke, die groß genug ist für uns beide und einem weichen Teppich vor dem angezündeten Kamin. Aber erst heute Abend. Im Moment ist mir noch nicht zu kalt und die Sonne wärmt ja auch ganz gut." Wenn man nicht im Wasser war und die Sonnenstrahlen die Eiszapfen, die das kalte Wasser erzeugte, noch versuchen musste, aufzutauen. Denn so warm brannte die Sonne dann auch noch nicht. Und es wäre auch ein Wunder gewesen. Immerhin hatten sie erst April und der kanadische Winter lag ganz in der Nähe.
"Schade," sagte David ehrlich enttäuscht, grinste aber ein wenig. "Ich dachte schon dir wäre es tatsächlich nach Umkehr, um das SPäter auf Jetzt zu verlagern. Aber ist okay... der Tee tut es auch heute Abend noch und der Teppich und das Feuer... Aber schön das wir uns über meine guten Seiten einig sind und sie erhalten wollen."
"Na ja, wie könnte ich auf deine süßen Augen verzichten", meinte Annie und seufzte gespielt auf, obwohl sie genau wusste, was David mit seinem besten Stück eigentlich meinte. Aber ein bisschen Spaß musste sein ... Nur dass David so enttäuscht klang, verunsicherte Annie dann doch. "Möchtest du ... also wenn es dir egal ist, dann können wir auch die Bootsfahrt auf morgen verschieben und wirklich das später auf jetzt vorziehen."
"Nein, nein wir waren uns einig," sagte David und musste dann doch ein bisschen über sie beide lachen. "Auch wenn das Angebot sehr, sehr verlockend ist. Aber meine 'süßen' Augen können es shcon noch bis heute Abend aushalten und es auch erwarten. Gehen wir Bootfahren und... genießen den restlichen Tag noch ein wenig."
"Aye, aye, Herr Kapitän", sagte Annie artig, grinste dann aber doch frech. "Du hast Recht. Wir sind fürchterschrecklich und sollten uns was schämen. Aber nicht jetzt. Jetzt wollen wir erst einmal die sieben Weltmeere bezwingen und ... hm ... nein, nur den See. Der reicht für den Anfang. Und schau mal ... ist das da vorne nicht ein Bootsverleih?" Annie deutete auf eine kleine Holzhütte fast am Wasser, die etwas 100 Meter vor ihnen zwischen zwei nahe am Ufer stehenden großen Bäumen - welche auch immer das waren - hervorschaute und die Annie zwar nur verschwommen, aber dennoch gut sehen konnte. Und zumindest lagen da ein paar Boote an einem Steg. Welche Art von Booten sah sie dann aber doch noch nicht.
"Ja und das ist ein schrecklich süsses Wort, das es ganz gut triff," lachte David und drückte Annie ein wenig fester an sich, ehe er in ihre Richtung blickte und die Holzhütte ebenfalls entdeckte. "Mhm.. sieht ganz danach aus und ich glaube da fährt gerade jemand mit einem Tretboote auf das offe Wasser zu. Heute ist trotz allem noch unser Glückstag."
"Na, solange du nur 'fürchterschrecklich' schrecklich süß findest und nicht mich als schrecklich süß bezeichnest, bin ich zufrieden", meinte Annie grinsend, während sie im selben Moment wie David das Boot entdeckte, das von furchtlosen Kapitänen aufs Wasser gelenkt wurde. Ein schöner Zufall, der den Tag zwar alleine aus dem Grund nicht zum Glückstag werden ließ, aber immerhin war es ein Schritt in die Richtung dorthin. "He, vielleicht sehen wir ja ein Seeungeheuer", meinte sie. "So wie Nessi. Davon könnten wir ein Foto schießen und meistbietend verkaufen. Dann wären wir reich und es wäre wirklich unser Glückstag. Ich glaube, Abbys Handy ist so ein Ding mit Kamera." Wobei das noch nichts hieß, weil sie damit garantiert nicht würde umgehen können. Und das wäre dann im Fall eines Falles wirklich fürchterschrecklich ...