"Dafür, dass du da bist", sagte Annie. Sie löste sich ein wenig von ihm, um ihn ansehen zu können, aber ich war immer noch verschwommen und ihre Augen brannten vom Weinen. Sie waren garantiert auch rot und geschwollen und sie sah damit wohl noch schlimmer aus als vorher. Aber das war ihr egal. Im Moment war ihr wieder so vieles egal - vor allem Oberflächlichkeiten wie ihr Äußeres, dass sie sich daran nicht störte. Trotzdem wischte sie sich über die Augen, bevor sie weitersprach. "Dafür, dass du ... bei mir bist und zu mir hältst. Und das du mich tröstet und nicht auslachst oder nur Mitleid hast, weil ich mich so erbärmlich aufführe und so ein Schwächling bin."
"Wieso sollte ich das tun? Du warst eben für mich da und hast zu mir gehalten. Da ist das hier wirklich eine Kleinigkeit. Und für schwach und erbärmlich hab ich dich noch nie gehalten. Nach eben ist das doch.. nur verständlich. Auch... na ja, also ist es erlaubt zu kritisieren, oder brauchst du noch einen Moment, in dem ich einfach meine Klappe halten soll, um dich festzuhalten?"
"Vielleicht beides?", bot Annie unsicher an, auch wenn sie nicht genau wusste, was David mit Kritisieren meinte und was er ihr sagen wollte. Doch hoffentlich nichts schlimmes ... Obwohl ... doch, wenn es da etwas gab, dann sollte er das auch gleich sagen. Welche Auswirkungen es hatte, wenn man etwas aus gutem Grund und aus Rücksicht verschwieg, hatten sie ja eben erst deutlich zu spüren bekommen. Deswegen war es schon wichtig, dass sie gleich erfuhr, was er auf dem Herzen hatte und was er zu kritisieren hatte. Und so schlimm konnte es nicht werden. Dass er für sie da war und sich nicht darüber lustig machte, dass sie schwach und erbärmlich war, half ihr schon viel und gab ihr neue Kraft für was auch immer jetzt noch kommen wollte.
"Na ja, ich.. ich reiß dir jetzt nicht den Kopf ab oder so... ich bin ganz... human," sagte David vorsichtig, aus Angst Annie gleich wieder einen Schrecken einzujagen. Das wollte er nämlich gar nicht. "Ich wollte nur sagen, dass Mitleid gar nicht nötig ist, weil es unangebracht wäre. Was passiert ist, ist unsere Schuld und der Tatsache müssen wir ins Auge sehen. Oder... sehe ich das falsch? Ich weiß, wir sind in solchen Dingen nie einer Meinung, und nur weil wir nicht streiten wollen gibt mal der eine und dann mal der andere nach... aber das eben.. das erfordert doch ein paar Worte."
Davids Versicherung, ihr nicht den Kopf abzureißen, beruhigte Annie nicht wirklich und deswegen war sie weiterhin angespannt und nervös, während sie darauf wartete, was David ihr so ganz 'human' zu sagen hatte. Nur dass das nicht wirklich kam und Annie am Ende nicht viel schlauer war, als zuvor. Sie stritten nicht richtig und gaben lieber nach. Gut, das stimmte. Und das fand sie auch gut an ihrer Beziehung. Und an der Sache von vorhin trugen sie sicher auch eine große Mitschuld. Das war auch richtig. Aber da waren sie sich doch einig. Was gab es da noch zu sagen? "Was ... genau meinst du?", fragte sie und runzelte dabei die Stirn, während sie sich ein wenig von David löste und tief durchatmete. Wenigstens konnte sie schon wieder auf eigenen Beinen stehen, ohne umzukippen. "Meinst du, weil ich eben von dir verlangt hatte, den beiden nichts zu sagen, bin ich selber schuld und habe deswegen kein Mitleid verdient?", fragte sie ruhig und ohne Anklage oder Verteidigung in der Stimme. "Oder dass ... dass es in Ordnung war, wie Jordan reagiert hat und was sie uns an den Kopf geworfen hat? Denn das hätte sie auch getan, wenn wir gleich alles erzählt hätten. Und wenn ich ehrlich bin, dann bin ich auch froh, dass sie so reagiert hat. Denn jetzt weiß ich wenigstens woran ich bin und dass ich auch so eine Freundin verzichten kann." Der letzte Satz war dann schon nicht mehr ganz so ruhig und Annie seufzte leise auf, schloss kurz die Augen und ließ die Schultern wieder sinken. "Vielleicht kann man Verständnis dafür aufbringen, dass sie verstimmt ist und sauer, aber da waren Dinge dabei, die sie sich einfach hätte verkneifen können. Oder sie hätte uns wirklich eine Chance geben können, zu erklären. Doch das wollte sie doch gar nicht. Es war ihr alles egal. Sie hat nur gehört, dass Garret verletzt ist und du ihn geschlagen hast. Für mehr war sie gar nicht mehr aufnahmebereit. Was hätten wir denn da noch tun sollen?"
David seufzte absichtlich ein wenig lauter und grinste Annie an. "Weißt du, ich könnte es langsam zu hassen anfangen, dass du mich so gut durchschaust und weißt was ich sagen möchte. Na ja teilweise. Ich will nämlich auf keinen FAll sagen, dass du selbst schuld daran bist und kein Mitleid deswegen verdienst. Wir hätten ihnen nur von Anfang an die Wahrheit sagen sollen, so wie ich es vorgeschlagen habe. Letztendlich ist dadurch nämlich ncihts besser geworden und Jordan Reaktion war von meiner Seite aus gesehen verständlich. Denn mal ehrlich... es zählt doch letztendlich nur, dass ich Garret verletzt habe. Oder nicht? Egal welche Argumente ich dafür hätte, es entschuldigt nichts. Gar nichts. Wenn Garret mich anzeigt... ist er im vollen Recht und ich denke wenn seine Freundin mir deswegen die Freundschaft kündigt, ist auch sie im Recht. Das sie dich verletzt hat... ist etwas anderes. Aber ich glaube fast, dass es aus dem wunsch heraus geschehen ist, dir zu helfen, dich zu beschützen.... vor mir."
"Ja, und genau deswegen finde ich es nicht okay", sagte Annie grummelnd. Auf Davids erste Bemerkung hatte sie nicht grinsen können und auch jetzt fehlte ihr irgendwie der Humor oder die Lockerheit, die Dinge anders zu sehen als so pessimistisch wie sie nun mal in ihren Augen die ganze Zeit gewesen waren. Sicher hatte Jordan Grund auf David sauer zu sein, aber ihre Reaktion war dennoch nicht in Ordnung gewesen. "Sie hätte sich das verkneifen können", erklärte sie. "Sie ist nicht meine Mutter und muss mich auch nicht beschützen. Und schon gar nicht brauche ich mir sagen lassen, dass ich mit einer rosaroten Brille durchs Leben renne. Sie weiß doch gar nicht, was genau passiert ist und sie wollte es auch nicht hören. Sie hat ihre Meinung auf einer Sache alleine gebildet und ihre Schlüsse gezogen. Das war reichlich unfair. Und selbst wenn Garret im Recht ist und ... und wenn er Maßnahmen ergreift, dann ist das seine Sache. Wenn Jordan mit uns befreundet gewesen wäre - richtig, meine ich -, dann hätte sie sich angehört, was wir zu sagen haben. Und weil sie es nicht getan hat, ist sie für mich keine Freundin. Tut mir Leid, David. Und ich meine auch, dass sich nicht viel geändert hätte, wenn wir gleich ehrlich gewesen wären. Du kannst mir von mir aus daran die Schuld geben oder es mir vorwerfen, aber ... ich bleibe bei der Meinung: Es wäre nicht anders gelaufen."
"Weißt du es sind deine Freunde. Wenn du denkst, dass SIE sich falsch verhalten haben und wir uns nicht und ich gute Argumente dafür habe, dass ich Garret wohl fast krankenhausreif geprügelt habe, Argumente, zu denen Jordan verpflichtet ist sie sich anzuhören, dann ist es deine Entscheidungen ihnen die Freundschaft zu kündigen. Mir ist es im Prinzip egal. Mit Jordan hatte ich vor dir schon kaum zu tun und mit Woody ging es nie über den normalen Flur small talk hinaus. Ich weiß, du willst nur, dass man mir zuhört und mich nicht gleich verurteilt, aber mal ehrlich wäre es umgekehrt, wäre es Woody, der blind um sich schlägt, würdest du nicht auch versuchen Jordan davon zu überzeugen, den falschen Freund zu haben? Also ich denke, ich würde das auf jeden Fall versuchen. Schon alleine aus.. den gemachten Berufserfahrungen heraus," David versuchte bei seinen Worten so neutral wie möglich zu klingen. Er wollte nämlich Annie nicht dsa Gefühl geben, er würde sie an den Pranger stellen. Das wollte er auf keinen Fall. Er wollte nur versuchen, ihre Freundschaften zu retten, die ihr noch vor ein paar Stunden wichtig gewesen waren. "Und... hörst du dir ein bisschen selbst zu? Du redest von "selbst wenn Garret im Recht ist"... das klingt recht negativ. Findest du nicht auch? Als wäre er das nämlich nicht... ich weiß nicht, ob er, wenn er das hören würde, noch deine Freundschaft möchte...," er stoppte kurz und seufzte leise. Gut möglich, dass dem längst schon so war und er Annie noch einen Freund vertrieben hatte, aber das traute er sich erst gar nicht laut auszusprechen. "Eigentlich will ich nur damit sagen, Jordan hat wie eine Freundin reagiert. Wie DEINE Freundin, nicht wie meine oder unsere, weil sie nämlich nur deine ist. Nicht meine. Wir waren auf dem Weg dorthin oder wären es wohl nie geworden... "
"Oh, das habe ich nicht so gemeint", sagte Annie schnell und schüttelte den Kopf. "Ich wollte damit nicht sagen, dass ich nicht denke, dass es nicht Garrets gutes Recht wäre. Ich wollte damit nur sagen, dass es Jordan trotzdem nicht das Recht geben sollte, so uns gegenüber - von mir aus auch mir gegenüber zu reagieren. Das war nicht fair. Und es ist doch auch nicht das erste Mal. Sie hat mir doch letzte Woche noch vorgeworfen, nicht zu wissen, was Garret braucht, sie aber sehr wohl. Ich glaube langsam, dass sie eifersüchtig ist und nur einen Grund sucht, mich zu vertreiben. Damit sie Garret wieder ganz für sich hat, weil sie die älteren Rechte hat. Mehr nicht. Aber das kann sie haben. Ich habe mich nie als Konkurrenz gesehen, aber wenn sie meint … nur ist das Garrets Entscheidung. Er sucht sich aus, wen er als Freund hat und wenn nicht. Genau so wie ich es mir aussuche und sie und Woody und du auch. Und wenn ich mich für dich entscheide, dann hat sie das zu akzeptieren und mich nicht als naiv zu betiteln. Ich bin alt genug und ich weiß, wenn ich liebe und wer gut für mich ist. Und du bist es. Wenn sie das nicht akzeptieren kann, dann ist das ihr Problem. Und dann kann sie auch nicht meine Freundin sein. Punkt. Aus." Und alles andere zählte für Annie im Moment nicht. Sie war nicht in der Stimmung dafür, Rechtfertigungen für Jordans Verhalten zu suchen und sich einzugestehen, dass sich falsch reagiert hatte. Und sie wollte es auch gar nicht. Im Moment wollte sie nur Abby finden, sich davon überzeugen, dass es Garret besser ging und dann ihren restlichen Urlaub genießen - soweit das überhaupt noch möglich war, weil Jordan ihr den ja auch gründlich verdorben hatte durch ihre letzte Bemerkung … Noch ein Punkt auf der Liste, der gegen Jordan als Freundin sprach.
"Hm....," machte David nur und schwieg einen kurzen Moment. Annie hatte natürlich in manchen Dingen vollkommen recht. In manchen dafür nicht und David wusste nicht wie er ihr dsa erklären sollte, ohne einen Streit zu riskieren.
"Okay, dann hab ich dich wohl in Bezug auf Garret falsch verstanden. Tut mir leid," sagte er daher auch erst einmal und sehr vorsichtig. "Und ich hab dir eben schon gesagt.. du musst dich wegen Jordan nicht rechtfertigen. Sie ist, war, deine Freundin und es ist deine Entscheidung wie du mit dem was passiert ist umgehst. Ich hab dir nur meine Meinung dazu gesagt, falls sie.. falls sie erwünscht war, ist und dir hilft, helfen könnte. Darum.. also noch eine kleine Meinung dazu? Ich glaube nicht, dass Jordan eifersüchtig ist. Ich schätze sie versucht auch im Fall von Garret nur einen Freund zu beschützen und denkt, weil sie ihn länger kennt als du, dass sie mehr von ihm weiß, nicht über ihn oder seine Eigenarten, sondern sein Leben betreffend, um na ja, manche Dinge anders beurteilen zu können wie du. Das sehe ich nicht so tragisch wie du, aber... ich halt mich am besten aus der Sache heraus."
"Ich will deine Meinung ja hören", sagte Annie seufzend und versuchte es mit einem kleinen Lächeln, das jedoch leicht in die Hose ging. Sie war einfach zu müde für dieser Art von Diskussion und sie sah einen Streit heranrollen, den sie so jetzt nicht gebrauchen konnte. Es hatte heute schon genug Streit gegeben und noch einen ertrug sie nicht. Aber sie hatte das Gefühl, dass David über diese Sache reden musste und dann würde sie es wohl auch tun müssen. "Es ist wirklich ... ich bin im Moment vollkommen durcheinander und verletzt und verwirrt und traurig. Verletzt und enttäuscht. Ich glaube nicht, dass ich klar denken und das sehen kann, was du gerade sagst. Vielleicht hast du recht und Jordan wollte wirklich nur eine Freundin sein. Aber vielleicht wollte sie das auch nicht und es ging ihr nur gegen den Strich, dass ich Garret schon gesprochen hatte und sie nicht. Dass wir wussten, dass er und Renee da sind, und sie noch nicht. Ich weiß nicht, ob das Eifersucht ist oder nicht, aber sie spielt sicher eine Rolle. Warum auch immer ... und dann war da noch diese Sache mit Woody. Ich glaube, die beiden haben einige Probleme. Sie hat nichts bestimmtes gesagt, aber Woody schien schon die ganze Zeit launig zu sein und etwas auf dem Herzen zu haben. Und da kam es Jordan wohl Recht, dass sie sich mit uns ablenken konnte und ihren Frust bei uns loswerden wollte. Aber vielleicht täusche ich mich da auch. Keine Ahnung ... auf jeden Fall sehe ich da im Moment keine Chance mehr. Vielleicht sieht die Sache morgen oder nächste Woche wieder anders aus, aber im Moment ..." Sie schüttelte den Kopf und seufzte erneut. "Im Moment ist einfach mein Dickkopf im Weg. Tut mir Leid."
"Muss dir nicht leid tun. Aber die Fragen kann ich dir leider auch nicht beantworten," sagte David und zog Annie wieder in seinen Arm, um dann den Weg zum See fortzusetzen. "Da wirst du schon Jordan selbst fragen müssen. Falls ihr jemals wieder miteinander redet. Oder du fragst Woody mal... so ganz aus dem Weg gehen könnt ihr euch ja nicht und lieber ihr redet, als euch.. na ja, nur noch auf den Dienstweg zu beschränken."
"Es tut mir aber leid", sagte Annie leise, lehnte sich aber ohne zu Zögern wieder an David an, als dieser sie in den Arm zog und sie weiter zum See gingen, um nach Abby zu suchen. Sie hätten wohl gleich weitergehen und Woodys Wagen nie entdecken sollen. Dann wäre das alles nicht passiert und sie müsste sich jetzt nicht die Frage stellen, ob sie mit Woody jemals wieder mehr zu besprechen haben würde als das, was im PD anfiel. Aber dann hätte sie auch immer noch nicht gewusst, zu was Jordan fähig war und sie hätte nicht hinter die Maske gesehen, die diese aufgesetzt hatte. Zumindest nicht heute. Erst am Montag, wenn sie Garret in Boston wieder getroffen hätte. Aber bis dahin wären noch zwei Urlaubstage vergangen, wo sie nur ein Problem und nicht drei gehabt hätte. Und wenn Annie ehrlich war, dann war ihr ein Problem schon eins zu viel ... "Ich denke, das hängt von Woody ab", sagte sie. "Er hat sich eben zurückgehalten und eigentlich kaum was gesagt. Dass er meine Andeutung auf sich bezog, dafür kann ich nichts und ... na ja, ich weiß nicht, was er denkt und ob er mir die Schuld gibt oder so sauer ist wie Jordan. Das wird sich dann nächste Woche zeigen, denke ich."
"Ja, denke ich auch," sagte David zustimmend und besah sich den Weg zum See etwas kritischer. Mit einem Wagen konnte man schon einmal nicht runterfahren. Der Weg war gerade breit genug, dass man bequem nebeneinander noch herlaufen konnte. "Und am besten machen wir uns deswegen gar keinen Kopf mehr oder? Bringt ja nichts."
"Das denke ich auch", sagte Annie lächelnd. Sie war froh, dass David es so sah wie sie und sie damit hoffentlich das Thema wechseln konnten. Es brachte ja wirklich nichts, wenn sie sich hier verrückt machten, aber doch gar nicht genau wissen konnten, was in Woody oder in Jordan vorging und wie sie alle zu der Sache stehen würden, wenn erstmal ein paar Tage oder Stunden vergangen waren. "Meinst du, wir sollen mal bei Renee anrufen und fragen, wie der Stand der Dinge ist?", fragte sie. "Ob der Arzt schon da war oder Abby vielleicht wieder aufgetaucht ist?" Wobei sie eigentlich davon ausging, dass einer von den beiden so schlau sein würde, sie anzurufen, wenn letzteres eingetreten war. Oder zumindest traute das Renee zu. Bei Garret war sie sich nicht sicher. Er war ja im Moment alles anderes nur noch zurechnungsfähig.